Tanz der Toten

Roland Benz

Es trug sich zu auf dem Wege von Ledugdinor nach Ragolsdorn. Die Nacht hatte sich bereits über das Land gelegt, als der Himmel seine Schleusen öffnete und ein Unwetter über mich hereinbrach wie ich es zuvor noch nicht erlebt.
Eilends schaute ich nach einem Unterstand, da erblickte ich ein verlassenes Gemäuer abseits des Weges. Die Ruine einer Burg womöglich, oder eines Herrensitzes bot sich mir zum Schutze an. Da kannte ich kein Zögern, denn der Wind heulte schaurig in der Nacht und Blitzgewitter teilte den Himmel, so dass ich mich eilte dem Unheil der Natur zu entfliehen. In der Tat war es ein zerfallenes Herrengut, viele Mauern bereits brüchig und eingestürzt. Nur das Haupthaus schien mir noch intakt, schon jagte ich die Stufen hoch zum Eingang hin und schlüpfte durch das morsche Tor.
Darinnen ward es kalt und düster und doch genoss ich den Schutz der Mauern. Ich folgte dem Heulen des Windes durch die leeren Räume und suchte einen Platz an dem ich mich niederlassen könne.
Obgleich der Sturm nach Kräften tobte, vernahm ich mit einem Male ein Geräusch. Ein unheilvolles Wimmern und Jaulen, ein derart schauriges Instrumentenspiel, dass mir das Haar zu Berge stund.
Schon stürzte ih zum Fenster hin und spähte in die Nacht hinaus. Da sah ich sie!
Unweit des Gemäuers ragten die monolithischen Felsen eines Steinkreises, den die Urvölker einst errichteten um den alten Göttern zu dienen, in den Himmel auf. Just in Mitte dieses Felsendoms erblickte ich eine groteske Schar bizarrer Gestalten. Ungelenk und steif schritten sie umher. Sie torkelten und wankten, so dass man in ihnen eine Horde Trunkenbolde hätte vermuten können.
Und doch war es ganz anders. Es war derer eine Totenschar die sich zum Tanze traf! Nur zu deutlich sah ich blankes Gebein durch zerrissene Gewandung schimmern und manch einer trug nur noch sein Totenhemd, welches lose auf den knochigen Schultern hing und um den hohlen Brustkorb flatterte.
Hautfetzen und fauliges Fleisch hing von den ansonsten bleichen Knochen, strähniges Haar klebte am Schädel und umspielte die grinsenden Totengesichter. Das Grauen erschütterte mich!
Etwas abseits spielten die Musikanten auf den Knochenflöten und schlugen dazu die Schädelpauke. Ein jeder von ihnen ein blasser Leichnam, ohne das Recht noch länger auf Erden zu wandeln.
Davor stand eine ausgemergelte Gestalt in schwarzem Frack, schwang einen Schenkelknochen als Taktstock und dirigierte den Totenwalzer.
Der Kapellmeister des Schreckens ließ die Musikanten den unheilvollen Wahnsinn aufspielen, welcher den Kundigen bekannt ist als das Vierte unter den bösen Liedern.
Es fror mich in der Seele! Ich wollte mich abwenden, doch das ungeheuerliche Treiben fesselte meinen Blick.
Wie mit Ketten beschlagen stand ich am Fenster, dem Irrsinn nahe und blickte auf den Schauerreigen. Inmitten des Kreises drehten sich die vertrockneten Leiber und ließen das morsche Tanzbein schwingen. Zornig tobte der Sturm in der Nacht!
Unablässig zuckten die Blitze vom Himmel und Donnerschlag erschütterte die Luft, als würde ein riesenhafter Unhold gegen die Tore der Welt anrennen. Schneller und schneller wurde die Melodie, die Musikanten steigerten ihr Spiel.
Die tanzenden Kadaver wirbelten Wild durch die Nacht, so dass Teile von ihnen abfielen und Fleischklumpen sich von Knochen lösten.
Noch immer war ich nicht fähig, mich von der Stelle zu rühren!
Da teilte sich die Totenschar und gab den Blick preis auf ein Paar, wie es noch kein Lebender gesehen hat. Er trug einen hohen Zylinder, welcher ihm tief auf die knochige Stirn gerutscht. Der Anzug war mit Erde beschmutzt, hing lose um das bleiche Gebein. An der Totenhand führte er seine Braut und gemeinsam wirbelten sie in teuflischem Reigen. Ein Kranz verwelkter Blumen lag um ihren Schädel, das verklebte Haar war immer noch schwarz. Das Brautkleid war zerrissen und fleckig, dennoch zeugte es von einstiger edler Pracht.  Wie der Sturmwind tobten die Beiden im Kreise und tanzten zur Melodie des Grauens, welche zu inferialischem Schrecken gedieh.
Hätte ich gekonnt, ich hätte wie von Sinnen geschrien, doch nicht ein einziger Laut drang aus meiner Kehle. Stumm war ich verdammt, das Geschehen zu beobachten und ihm beizuwohnen.
Immer weiter steigerte sich das schaurige Spiel und die Toten drehten sich wie irr im Kreise, so dass sie auseinanderfielen und begannen sich aufzulösen.  Haut und Knochen flogen durch die Luft und Schädel kippten von den Hälsen, Totenhemden rissen und flogen als lose Fetzen umher.
Bald darauf erreichte das Lied des Unheils seinen Höhepunkt.  Die Schädelpauke hämmerte wie von Sinnen und die Knochenflöten kreischten ihr Lied in die Nacht hinaus. Schließlich fand das blasphemische Treiben seinen Gipfel und endete in einem einzigen infernalischen Donnerschlag der die Welt erschütterte.
Das Tollhaus werde ich wohl nie mehr verlassen, doch werde ich nicht müde die Nachwelt zu warnen und euch von meinem Erlebnis zu berichten.