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Sarah Beicht

Die Eiswürfel schlugen gegen das Glas, klapperten wie ein Windspiel im Scotch als Tracy Osborn sich noch einmal nachschüttete. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, der Mascara zeichnete dunkle Ringe. Wenn nur dieses verdammte Handy aufhören würde zu brummen. Es lag dort auf dem Tisch, eingeschneit von Zigarettenasche und Koks und surrte mit jeder Benachrichtigung ein Stücken weiter über die Politur. Ihr Schädel pochte unentwegt und mit einem schweren Seufzer stemmte Tracy sich von der samtbespannten Couch hoch. Ging zum Balkon. Stellte den Scotch auf die steinerne Balustrade. Ein und aus. Sie musste etwas tun, irgendetwas, auch wenn Daniel, diese unfähige Person, ihr davon abraten würde. Überhaupt sollte er aufhören, immer den Kindergärtner für sie zu spielen, auch wenn er schon seit ihrer Kindheit als Pressesprecher für sie arbeitete. Sie würde das nicht mehr mitmachen, nippte an ihrem Drink, nein, eine Pause würde sie machen, ganz allein, ohne Daniel, ohne Plattenfirma und ohne dieses gottverdammte Handy, das nun gar nicht mehr aufhören wollte zu klingeln. Gleich morgen würde sie aus dem Cecil auschecken und Urlaub machen, weit weg und abgelegen. Morgen? Warum eigentlich nicht gleich. Genau. Sie rauschte zurück in ihr Hotelzimmer, warf ein paar Sachen in ihre Reisetasche und fuhr ungeduldig mit dem Aufzug hinunter in die Lobby. „Toby, ich checke aus, sofort“, sagte sie und bearbeitete mit ihren Fingernägeln die Rezeptionstheke. „Heute, Ma’am? Jetzt?“ Der pickelgesichtige Hotelmitarbeiter kaute auf seiner Unterlippe. „Aber wir haben halb drei Uhr nachts.“ „Ich weiß, dass es halb drei ist, du Dummkopf.“ Ein strenger Blick zwischen Plastikwimpern und verschmierten Kajalbalken hindurch. In der Tasche ihres Pelzmantels begann es wieder hektisch zu klingeln und erschrocken presste sie ihre Hand darauf. Toby klimperte hektisch auf die Tastatur ein. „Braver Junge. Was sich noch in meinem Zimmer befindet, schicken sie mir bitte in die Agentur. Sonst noch etwas?“ „W-was?“ „Ob ich sonst noch etwas tun muss, unterschreiben, Kaution oder so?“ „N-nein, Ma’am. Die Rechnung hinterlege ich bei ihrem Manager. Ich hoffe, dass sie mit ihrem Besuch zufrieden waren, Miss Osborn.“ Unter seine kraterdurchzogene Haut kroch ihm die Schamesröte auf beide Wangen, als Miss Tracy schon längst aus den auseinandergleitenden Schiebetüren geschritten war. Sie zog sich den Nerz enger um die Schultern, ihr Atem dampfte abwechselnd in Kohlenstoffdioxid und Zigarettenrauch und sie stieg die Treppen in das schlecht beleuchtete Parkhaus hinab. Mit zitternden Lederhandschuhen öffnete sie die nach oben aufschwingende Tür ihres Lamborghinis. Stieg ein. Bittere Tränen liefen ihr ins Dekolleté und hinterließen schwarzgetünchte Bäche auf ihrer Haut. Bitteren Schnaps schüttete sie ihre Kehle hinunter und ließ sich von der Wärme von innen trösten. Der Flachmann war bald leer, also zog sie aus dem Handschuhfach noch etwas Nachschub und manövrierte den laut hustenden Wagen aus der Parklücke hinaus auf die nachtleeren Straßen Los Angeles‘. Tracy fuhr rasant, aber sicher, gab bei Gelb nochmal Gas und schaffte es, ohne größere Unterbrechungen aus der Innenstadt hinaus auf die Landstraße. Sie wischte sich die Tränen von der Wange und stellte das Radio ein. Wummernder Techno schoss aus den Boxen und getrieben vom Beat gab Tracy Gas, überholte einen Traktor und floss auf der nachtschwarzen Straße entlang. Sie zog sich einhändig ihre Sonnenbrille auf und überprüfte bei Tempo 150 die Umrandung ihres Lippenstiftes. Mit der kleinen Fingerspitze wischte sie an ihrem Mundwinkel herum, Mist, da war etwas verwischt. In den weiten Taschen ihres Mantels kramte sie nach ihrem Lippenstift, Dark Cherry 01, und schob den Deckel zwischen Daumen und Zeigefinger ab. Plötzlich ruckelte das Auto auf offener Straße, sie wurde in ihren Gurt gedrückt und umklammerte das Lenkrad reflexartig mit beiden Händen. Eine weitere Reihe von Bodenwellen schüttelte Tracy kräftig durch, während sie laut fluchend den Fußboden des Beifahrersitzes nach der Lippenstifthülse absuchte. Mit der einen Hand am Lenker tauchte sie unter den gegenüberliegenden Sitz und tastete blind auf den Matten herum. „So ein Mistding, wo ist er?“ Sie lenkte einhändig die Landstraße entlang, ihre Pumps drückten immer weiter durch und als sie wiederauftauchte, wurde ihr vor Schock die Luft aus den Lungen gepresst. Sie riss das Steuer herum und wich einem umgestürzten Telefonmast aus, der zur Hälfte in die Straße hereinragte. Tracy taxierte mit tränenvernebelten Augen den Rückspiegel. Schlagartig war sie wieder nüchtern und atmete noch zwei Ausfahrten lang hektisch und unregelmäßig. ‚Das war knapp‘, dachte sie bei sich. ‚Ich wollte eine Auszeit vom Medienrummel, nicht von meinem Leben‘. Sie zuckte abrupt zusammen, als ihr Handy auf dem Rücksitz auf einmal wild zu vibrieren begann. Tracy schlug auf das Armaturenbrett und versuchte Ruhe zu bewahren, durchzuatmen. Sie kurbelte das Fenster ein wenig herunter und ließ sich den Wind um die operierte Nase wehen. Nach einiger Zeit wurde sie ruhiger und schaffte es, den Wagen sicher zu dem kleinen Ferienhaus direkt am Santa Monica Bay zu lenken. Es war schon kurz vor Sonnenaufgang und Tracys Handy schien förmlich zu explodieren, als sie es vom Rücksitz klaubte und ihre Tasche aus dem Kofferraum zog. Sie setzte sich auf die Holzstufen und wartete, die Hausverwalterin würde erst in einer halben Stunde eintreffen, so sagte es zumindest die App der Hotelvermittlung. Sie tippte gelangweilt auf dem Smartphone herum, verbot sich jegliche Betätigung in den sozialen Netzwerken und bohrte die Absätze in den morgenfeuchten Sand. ‚Aber die Mailbox, die könnte ich doch abrufen‘, dachte sie und schob den Riegel schon zur Seite. 23 unbeantwortete Anrufe hatte sie, der erste war Daniel, der mit zitternder Stimme ihren Namen in ihr Ohr plärrte. Tracy legte sofort wieder auf, das hielt man ja im Kopf nicht aus. Wenig später für Mrs. Mills vor, um nach dem rechten zu sehen, sie schien überrascht, solch prominenten Besuch anzutreffen. „Es war eine spontane Entscheidung, sie waren der erste Treffer beim Googlen. Dürfte ich ein paar Nächte hier unterkommen, ich bezahle ihnen auch den Wochenendzuschlag.“ „Lassen sie nur, Mädchen“, sagte die ältere Dame. „Sie sehen ja aus wie der Tod, ich mache ihnen sofort das Zimmer fertig.“ „Danke, das ist sehr nett von ihnen, sagen Sie, gibt es hier Internetanschluss?“ „Leider nein, da müssten sie schon ins Dorf fahren, das ist allerdings eine Dreiviertelstunde entfernt.“ Tracy legte ihr beruhigen eine Hand auf die Strickjacke. „Das macht nichts, gute Frau. Genau so etwas habe ich gesucht.“ Am Abend machte Tracy es sich gemütlich, ein Bad im Kerzenschein, ein gutes Buch am Kaminfeuer. Zum ersten Mal seit Monaten herrschte eine fast schon besinnliche Ruhe in ihrem Kopf. Das Handy hatte sie in eine Schublade verbannt, dort konnte es brummen, bis der Akku leer war. Auch die Nacht verlief ruhig, doch am Morgen hob sie erzürnt ihre Schlafmaske. ‚Wer lacht denn da?‘ Sie traute ihren Ohren kaum. Hier war doch sonst niemand weit und breit. „Huhuu.“ Kichern. Kinderlachen. „Komm mit uns.“ Hinter vorgehaltener Hand. „Bist du bereit?“ „Für was?“, rief sie zurück, als sie verschlafen auf die Veranda gestolpert kam. „Es ist Zeit,“ kam als Antwort zurück. „Ich glaube, ihr spinnt, ihr Rotzlöffel. Ich will mich entspannen.“ „Komm mit uns!“ Hinter den Bäumen lugten vier Kinder hervor, kicherten und hielten sich immer wieder die Hand an die Ohren. Sie rannten umher, spielten Fangen. „Ring ring“, machte ein Mädchen mit gelber Regenjacke. Da begriff Tracy und holte von drinnen das Handy aus der Schublade. Sie öffnete die Mailbox und hörte ein paar Minuten mit leeren Augen zu. Dann nickte sie, holte sich ihren Nerz und folgte den Kindern in den Wald hinein. Niemand sollte sie mehr zu Gesicht bekommen. Als Mrs. Wills ein paar Stunden später kam um nach dem rechten zu sehen, suchte sie überall im Haus nach ihrem prominenten Gast, rief nach ihr und zog schließlich ihr Handy heraus, um sie auf der hinterlegten Nummer anzurufen. Sie öffnete die Startseite, über die neuesten Nachrichten des Tages wollte sie immer informiert sein und fasste sich beklommen an die Brust. Ein Bild, grau in grau, ein junger Stern im Showbizhimmel war gestorben. Gestern Nacht. Mit 19 Jahren, bei einem Autounfall auf der Landstraße. Gegen einen umgestürzten Telefonmast geprallt. Sofort tot, Alkohol im Blut. Klicken Sie hier für exklusive Bilder von der Unfallstelle. Kommentieren Sie, in welcher Rolle hat Osborn Ihnen am besten gefallen. Skandal: Was hat der heiße Co-Star mit Tracy Osborns Tod zu tun. Weiter unten, ganz klein, berichtete ein Artikel über einen umgestürzten Schulbus auf der Autobahn. Vier Kinder tot. Mrs. Mills wählte endlich die Nummer ihres Gastes, zitternde Finger, kurzes Freizeichen. Auf einem Schaukelstuhl auf der Veranda begann es zu vibrieren.