Geisterstunde

Waltraut Lang

Die Mitternachtsglocken singen ihr Lied,
Der Wächter herunterblickt vom Bergfried.

Einsam und allein muss er halten Wacht,
Damit alles ruhig bleibt in dieser Mondnacht.

Hell erleuchtet der Mond den Burggraben.
Da, plötzlich fängt das Wasser an zu wabern.

Was mag wohl die Ursache dafür sein?
Versucht etwa jemand zu kommen herein?

Das würde doch bestimmt niemand wagen,
Dachte der Wächter voller Unbehagen.

Im Burggraben schwimmt bissiges Getier,
Für die Menschen sind schmackhafte Beutetier’.

Angestrengt schaute er auf das Wasser,
Und wurde dabei doch immer blasser.

Geisterhafte Gestalten zeichneten sich ab,
Oh nein, sie ziehen die Magd in ein nasses Grab.

Eigentlich hätte er ihr zur Hilfe eilen müssen,
Noch gestern hatte er versucht, sie zu küssen.

Da flog eine der Gestalten hinauf zu ihm
In der Absicht, ihn auch hinunterzuziehen.

Er war verschreckt und hatte einfach nur Angst,
Begann zu flehen, ‘Ich tu alles, was Du verlangst.

Verschon mich bitte, ich hab Weib und Kind,
Ich werd’ nichts sagen, ganz bestimmt.’

Totenstille senkte sich über das Land,.
‘Sei froh, dass ich nicht für Dich wurde ausgesandt.

Nichts und niemand könnte Dich dann retten,
darauf kannst Du Dein armseliges Leben verwetten.’

Er flog davon, nur ein schauriges Lachen lag in der Luft,
Der Wind flüsterte: ‘Auch Du wirst bald sein in der Gruft.’

Als der Tag anbrach, war der Wächter erstarrt zu Stein,
Wer den Tod gesehen, der hat verwirkt sein Dasein.

Diese alte Geschichte erzählt man sich beim Lagerfeuer,
Und die Kinder hängen an den Lippen der Betreuer.

Ob wahr oder nicht, sie bleiben fortan zusammen,
Könnte die Mär doch einer wahren Geschichte entstammen!