historie

1816 — das Jahr ohne Sommer. Lord Byron und Percy Shelley, die beiden Dichter, treffen einander am Genfer See. Byron ist auf der Flucht vor dem Klatsch in London und seinen Schulden. Shelley lebt eine Romanze mit zwei jungen Damen: Mary Godwin und Claire Clairmont. Claire ist auf der Jagd nach Byron.
      Es ist die Zeit zwischen Pferdekutsche und Dampfmaschine. Die Elektrizität erweckt die Muskeln Toter und die Lebenskraft aus der Leidener Flasche scheint greifbar. — Wirtschaft und Handel sind in Umwälzung begriffen, alte Werte werden wertlos über Nacht. Das einzig Gewisse ist der Wandel …

Das ungewöhnlich kalte Jahr 1816 ging als das Jahr ohne Sommer in die Geschichte ein. In Mitteleuropa gab es schwere Unwetter. Flüsse traten über die Ufer. In der Schweiz schneite es alle zwei Wochen.
      Grund für diese Unbilden war der Ausbruch des Vulkans Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa im April des Vorjahres. Die Explosion hatte ungefähr 150 km³ Staub und Asche sowie Schwefelverbindungen in die Atmosphäre geschleudert, die sich wie ein Schleier um den Erdball legten. Die Abkühlung des Weltklimas hielt bis 1819 an.

Die Folge waren katastrophale Missernten: In der Schweiz fiel die Heuernte ins Wasser, das Getreide konnte nur nass geerntet werden, so dass es teilweise in den Lagern verschimmelte.
      Waterloo lag nur ein knappes Jahr zurück. Die meisten Vorratsspeicher waren leer. — Die Menschen mussten sich von Gras, Kräutern oder verendeten Tieren ernähren. Kinder weideten auf den Wiesen wie Schafe. Viele starben.
      Innerhalb weniger Monate stiegen die Preise für Brot, Fleisch und Wein um das Drei- bis Vierfache. In einigen deutschen Städten wurden Bäckereien und Metzgereien geplündert. In Frankreich und England kam es zu Aufständen, in der Schweiz musste der Notstand ausgerufen werden. Tausende Europäer wanderten nach Amerika aus. Mundraub wurde zum Verbrechen.

Um künftig solche verheerenden Hungersnöte zu verhindern, gründete König Wilhelm I. von Württemberg 1818 die erste landwirtschaftliche Akademie — die heutige Universität Hohenheim.
      Der Chemiker Justus von Liebig, der als Jugendlicher den Hunger von 1816 miterlebt hatte, widmete sich in seiner Forschung dem Wachstum der Pflanzen. Er führte die Mineraldüngung ein und steigerte so die Erträge.
      Sogar die Laufmaschine von Karl Drais, ein Vorläufer des Fahrrades, verdankt ihre Entwicklung dem Pferdesterben infolge des Futtermangels nach dem Tambora-Ausbruch.

Seit Thomas Newcomen 1712 die erste brauchbare Dampfmaschine gebaut und James Watt sie erheblich verbessert hatte, war die Dampfkraft vielerorts im Einsatz, zum Beispiel in den Kohlezechen, um die Gruben von Wasser frei zu halten. Den ersten Dampfwagen, der sich aus eigener Kraft auf der Straße fortbewegte, baute 1769 der französische Erfinder Nicholas Cugnot. Eine Webmaschine mit Dampfantrieb, die Power Loom, hatte 1784 Edmond Cartwright erfunden.
      Auch einzelne Dampfschiffe waren bereits auf den Flüssen unterwegs. Der 1807 gebaute Raddampfer des Amerikaners Robert Fulton, nach einem häufig angelaufenen Ort allgemein Clermont genannt, war zwar noch mit Segeln bestückt, wurde aber zwischen New York und Albany schon im Linienverkehr eingesetzt.

In der Wylam-Zeche versuchte man schon 1804, den Pferdebetrieb zwischen der Grube und dem Hafen von Lemington durch Dampfkraft zu ersetzen. Der englische Ingenieur Richard Trevithick baute dafür die erste auf Gleisen fahrende Dampflok, doch die gusseisernen Schienen zerbrachen unter der Last der Lokomotive.
      Grubendirektor William Hedley wurde 1813 durch eine eigene Entwicklung bekannt: die Puffing Billy. Diese Lokomotive war in der Lage, einen etwa 50 Tonnen schweren Zug in einer Stunde über die rund 8 Kilometer lange Strecke entlang des Tyne nach Lemington zu ziehen.

Am 27. September 1825 wurde zwischen Darlington und der Hafenstadt Stockton die erste öffentliche Eisenbahnlinie eingeweiht. Der Zug bestand aus 36 Wagen, von denen zwölf mit Kohle und Mehl, sechs mit Gästen und vierzehn mit Arbeitern beladen waren. Die Lokomotive hatte George Stephenson gebaut: die Locomotion No 1.
      Eine große Menschenmenge verfolgte die Jungfernfahrt. Die erste Strecke der Welt, auf der Passagiere mit einer Dampflokomotive befördert wurden, war etwa 35 Kilometer lang. Bei der Ankunft im Hafen von Stockton wurde der Zug mit Salutschüssen begrüßt.
      Angeregt durch den Erfolg, eröffnete 1830 eine zweigleisige, etwa 50 Kilometer lange Strecke zwischen Liverpool und Manchester. Auf diesen Schienen verkehrten keinerlei Pferdebahnen mehr. Die Rocket, wiederum von Stephenson gebaut, erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 48 km/h. Völlig neu war: Es gab erstmals einen Fahrplan für den Personen- und Güterverkehr.

In Deutschland begann das Eisenbahnzeitalter am 7. Dezember 1835 auf der Strecke zwischen Nürnberg und Fürth. Da die Beschaffung der Kohle aber sehr kostspielig war, wurde die sechs Kilometer lange Strecke noch überwiegend als Pferdebahn betrieben. Nur ein Viertel der Züge wurde von Dampfloks gezogen.

Mit Dampfkraft sollten sogar die Lüfte erobert werden. Als Erfinder des modernen Flugzeuges gilt der englische Ingenieur William Samuel Henson, der 1842 eine Dampf-Flugmaschine zum Patent anmeldete. Sie enthielt bereits alle wichtigen Bauelemente moderner Flugzeuge: Rumpf, Tragflächen, Fahrgestell, Höhen- und Seitenruder. Die Umsetzung allerdings scheiterte am Fehlen einer starken und zugleich leichten Kraftquelle. Die damaligen Dampfmaschinen waren ungeeignet.

Ist der Mensch eine Maschine — nur Physik und Chemie? Oder wirkt in allen Organismen eine besondere Lebenskraft, eine vis vitalis, die das Lebendige scheidet von der toten Materie?
      Der berühmte Arzt Christoph Wilhelm Hufeland sah als Ursache aller Vorgänge im menschlichen Körper eine allgemeine Lebenskraft mit sechs Teilkräften an. Krankheit bedeutete demnach eine Beeinträchtigung dieser Kraft durch krankmachende Reize.
      Dem entgegen steht die Vorstellung, dass alles Leben sich ausschließlich aus Materie aufbaut, auch das des Menschen und des Tiers. Selbst der Geist und der menschliche Wille sind nurmehr Folgen physikalischer und chemischer Prozesse.

Die Experimente von Luigi Galvani mit toten Fröschen, deren Muskeln beim Einwirken von Elektrizität erneut zu zucken begannen, waren nicht nur der Clou auf den Jahrmärkten, sie brachten auch die Frage nach der Lebenskraft unters Volk.

Die Ansicht, dass Organisches ausschließlich von Lebewesen erzeugt werden könne, widerlegte Friedrich Wöhler, dem es 1828 gelang, Harnstoff künstlich herzustellen.
      Seit den Versuchen von Stanley Miller und Harold C. Urey im Jahr 1959 gilt die Annahme einer speziellen Lebenskraft als endgültig überholt.
      Miller und Urey bildeten in ihrer Apparatur die methanhaltige Uratmosphäre der Erde und den Urozean nach und simulierten Blitze durch elektrische Entladungen. — Nach nur einer Woche hatte sich ein Teil des Methans in andere organische Verbindungen umgewandelt, darunter mehrere Aminosäuren.
      Dies war der erste Nachweis, dass grundlegende Bausteine des Lebens unter natürlichen Bedingungen entstehen können.